Unter dem Gesetz

@fabiansteinhauer / fabiansteinhauer.tumblr.com

Zettelkasten, Schaufenster und Schirm
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Was ist eine Akte?

1.

Was ist eine Akte? So eine Art Tafel, so eine Art Schrank(e), so eine Art Schrein/scrinium, so eine Art Screen/ Schirm, so eine Art Zettelkasten. So eine Art Liste, so eine Art Statistik, so eine Art ars, so eine Art Technik, so eine Art Verfahren.

Am Mittwoch fahre ich nach Wien auf eine Tagung des österreichischen Bundesministeriums für die wirklich wichtigen Dinge, um ein Kapitel des Forschungsprojektes zur Bild- und Rechtswissenschaft, nämlich das Projekt über Aby Warburg, und daraus wieder ein Unterkapitel, nämlich die Frage nach der Beziehung zwischen seinen Staatstafeln einerseits und einem Material römischen Verwaltungsrechts (notitia dignitatum/ Kalender des Filocalus) vorzustellen.

Die Beziehung zwischen Warburgs Tafeln und dem Kalender des Filocalus sind einfach zu rekonstruieren: Warburg lässt Bilder des Kalenders an seine Tafeln, er arbeitet mit diesem Kalender. Die Beziehung zur notitia dignitatum ist nicht so offensichtlich, da muss ich ausholen. Es wird mir darum gehen, die Form einer Akte über den Vergleich zwischen Warburgs Tafeln und der notitia dignitatum vorzustellen.

2.

Es tut mir nicht leid, dass dasjenige, was ich mache, etwas speziell wirken mag und leicht weit entfernt von dem, was angeblich die Fragen der Zeit sind. Es tut mir nicht leid, dass meine Wissenschaft nicht so wirkt, als sei sie auf der Höhe der Zeit. Es tut mir nicht leid, dass man darin nicht innerhalb von Sekunden, die an einer Hand abzählbar wären, rechtstheoretische oder medienrechtliche Fragen wiedererkennen mag. "Es sind halt Fragen, die sich stellen" (Pina Bausch).

Zum Beispiel die: Was ist eine Akte, was ist eine (Staats-)Tafel? Akten, Tafeln, Schränke/ Schreine/ Schirme, Zettel, Schaufenster: das sind zunächst einmal verwandte Objekte, denn es sind administrative, diplomatische, vage und polare Objekte. Sie organisieren den Verkehr, sie begleiten den Konsum, den Verzehr, sie organisieren doppelte Buchführungen, begleiten Trennungen und Austauschmanöver. Es sind zum Beispiel Falt- und Klappobjekte. Anders als dasjenige, was Hubert Damisch die klassische Repräsentation nennt, sind sie nicht nur offen. Man kann sie auf und zuklappen, öffnen und schließen. Etwas an ihnen kann man drehen und wenden, kippen oder beugen. Sie kehren etwas, sie 'fagieren', wie ein veraltetes Wort sagt: Sie kehren wie ein Besen, sie verkehren, verkehren etwas, sie verzehren etwas. Wenn es an diesen Objekten ein Offenes gibt, dann nicht ständig. Das Offene hat dort keinen 'ständigen Stand'. Das Offene ist dort ein Zustand. Zumal ist es einer unter vielen.

Was nach Hubert Damisch die klassische Repräsentation ausmachen soll und sogar dazu führen soll, dass sich ihre Ökonomie niemals besser zu erkennen gebe als im Moment ihrer Suspendierung, das macht die Verwandtschaft der eben aufgezählten Objekte nicht aus. Ihnen fehlt die konstitutive Operation der Öffnung. Bei ihnen fallen Kadrierung und Öffnung nicht zu einer ersten, prinzipiellen oder konstituiven Operation zusammen. Ihnen fehlt ein Aspekt der perspektivischen Konstruktion, auf den Hubert Damisch in seinen Studien zur klassischen Repräsentation hingewiesen hat, nämlich dasjenenige, was Leon Battista Alberti die Determinierung nennt und gleichzeitig als Term der Perspektive begreift.

Solchen administrativen und diplomatischen, vagen und polaren Objekten fehlt ein perspektivisches Dispositiv: Ihre Öffnung fällt mit ihrer Begrenzung nicht zusammen, nicht wie es in bestimmten klassischen Riten der Stadtgründung der Fall sein soll. Das nämlich soll nach Hubert Damisch das Dispositiv klassischer Repräsentation ausmachen: eine Perspektive, in der die Öffnung mit der Begrenzung zusammenfällt, wie es bereits in bestimmten klassischen Riten der Stadtgründung der Fall gewesen sein soll. Die diplomatischen und administrativen Objekte beziehen sich wohl auch auf das pomerium, die gründliche römische Linie, sie religieren ihre Linien, richten sich aber nicht in diesem Bezug ein. Wenn in ihnen das pomerium nachhallen würde, wenn sie ein Echo wären: dann wären sie zugleich stille Post. Das heißt zwar nur, dass die Repräsentation hier nicht klassisch ist, aber immerhin, denn dadurch rastet das Maß der Operation aus.

Jede Operation, selbst eine erste, ist bereits sekundär, jede Linie sekundär, jedes Öffnen sekundär, jedes Schließen sekundär. Administrative und diplomatische Objekte sind durchgehend sekundär. Bei ihnen gibt es keine permanente Öffnung. Bei ihnen geht etwas durch, ihnen geht etwas durch, das können durchgehende Objekte sein. Die Fähigkeit zur Permanenz düfte bei ihnen, wenn überhaupt, allenfalls schwach entwickelt sein. Ihre Öffnung könne allerdings anhaltend sein, das wäre aber dann auch stockend.

2.

Rechtswissenschaft, die Bildwissenschaft ist: Das lässt Rechtswissenschaft mit anderen Worten nochmal anders wiederholen, weil das Bild auch eine, eine zumal römische, Institution ist, deren Bahnen ikonoklastisch 'zäh' ausgerichtet sind. Das Bild kann das Anderes des Rechts sein, das große Andere des Rechts auch.

Was ein Bild ist, das ist spätestens seit den Zeiten, in denen Rechtsordnungen an Monotheismen gerieten eine Frage der Dogmatik, und genau darum ist die Frage, was ein Recht sei, eine Frage eben der gleichen Dogmatik, seitdem Rechtsordnungen an Monotheismen gerieten, was ein Bild ist. Darum sind die Literaturen zum iconic turn etwas halbseiden, wo, wie etwa in Boehms vielgenutzem Sammelband Was ist ein Bild? keine Juristen mitgeschrieben haben. In späteren Sammelbändern aus dem Genre iconic turn hat man immerhin Klaus Röhl dazu gebeten, der sich dann aber auch brav bedankt hat, indem er immer gleich seinen Texten voraussschickte, Rechtswissenschaft sei "natürlich keine Bildwissenschaft".

Was ein Bild ist, das ist auch eine juristische und juridische Frage, die man zu klein zurechtstutzt, wenn man glaubt, Bilder seien erst in Moderne verrechtlich worden oder wenn man glaubt, das moderne Recht habe die Bilder verdrängt. Das Bild ist ein anderes Wort für das Recht, es ist ein anderes Wort für das Gesetz, es ist ein anderes Wort für die Gerechtigkeit. Ein Teil meiner Forschung und Lehre dreht sich darum, das nachzuzeichnen. Aber das ist nicht alles, denn das sind alles keine selbstgenügsamen Feststellungen. Darum stellen sich mir Fragen zur Geschichte und Theorie des Bilderstreites, weil nicht nur das Recht sondern auch das Bild unbeständig sind und da, wo sie keinen Stand haben dennoch nicht nichts sind. Die Frage nach dem Recht zu einer Frage nach dem Bild machen, das kann auch heißen, die Fragen nach ihren Gründen und Referenzen nicht als Fragen nach Allem oder Nichts zu stellen, sondern als Fragen nach Trennungen und Austauschmanövern, nach Ersetzungen und Verstellungen.

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