Bewegung über Messe(n)
Ich weiß nicht, ob Martin Knollers Knüller in der 'Mitte' der Abteikirche von Neresheim irgendetwas stabilisiert oder restabilisiert. Ich weiß nur, dass es ein elliptisches Bild ist, das eiert (ab ovo) und kreist und Figuren zeigt, die sich in meteorologischen Lagen, nämlich in, auf, unter und neben Wolken versammeln. Meine These ist, dass diesem Bild die Stabilisierung und Restabilisierung nicht so am Herzen liegt, nicht so, wie es die Unbeständigkeit, also auch das Instabile tut.
Und ich weiß, dass das ein verspätetes und hochbarockes Objekt ist, durch das Bewegung gehen soll, und zwar Bewegung über Messe(n). Das ist ein Deckengemälde in einer Messehalle, also demjenigen Typ römischer Gebäude, die Mehrzweckhallen waren, in denen die alten Götter keine Plätze, keine Tische und Stühle reserviert hatten und die darum der neuen Religion, der römischen-katholischen (deren praktisches Regime als hohl oder völlig offen galt und das sich angeblich darum das römische Recht wie einen Ersatz praktischer Regeln einverleibt haben soll) leicht zugänglich, nutz- und besetzbar waren. Basilika hießen diese Hallen.
Knollers Bild ist ein Polobjekt. In der Bewegung, die durch dieses Bild gehen soll, kommen nämlich Kehren, Kippen und Wendungen vor. Das Bild macht Verkehr und Verkehrung möglich, es lässt begehren und es lässt bekehren, es lässt verzehren. Knoller hat diesen Kehren, seinen Kippen und den Wendungen vier (kosmologische) Stationen eingerichtet, die auf besondere Weise Zeiten und Räume verknüpfen, nämlich so, wie Himmelrichtungen oder Jahreszeiten es tun. Das Bild hat vier Stationen, vier stationäre Stellen, es ist aber eine Passage, durch die Bewegung gehen soll. Die vier Stellen sind vorübergehende Stationen in durchgehender Bewegung. Alle vier Stationen erscheinen wie Scheitelpunkte, an ihnen wird eine Kurve zu einer Kippe, wie es Sterne tun, wenn am Himmel etwas kippt, wenn etwa bis zur Johannisnacht die Tage länger, ab da aber kürzer werden. Dieses Objekt istzar nicht tabellarisch organisiert, aber elliptisch. Warburg oranisiert Tafel 79 tabellarisch und elliptisch, also auch kreisend.
Das Foto oben habe ich darum viermal gedreht, um diese vier Stationen zu markieren, wie Knoller das schon tat. Das Protokoll dieses Bildes besteht nicht nur darin, betrachtet zu werden, sondern den Zug, der eine Betrachtung ist, als Bewegung mitzumachen, in der Kehren, Kippen und Wenden vorkommen. Anders gesagt: Betrachtung heißt hier nicht nur, die Augen aufzusperren, um etwas hineinzulassen und sich dabei was zu denken. Das Trachten ist auch eine Technik, Körper ziehen zu lassen, bewegen zu lassen. Der Körper muss sich in Betrachtung mitziehen lassen. Würde man zu der Bewegung ein Prokoll zeichnen, wären die Linien darin auch verdreht oder verkehrt (umgekehrt). Die Linien, die Betrachtungen zeichnen, die also 'das Trachten trachten', die nennt man Protokoll, das ist ein Bewegungsregime.
Durch das Polobjekt soll Bewegung gehen, in der Kehren, Kippen und Wenden vorkommen. Meine These ist, dass Warburgs Polobjekte an einer Technik hängen, die man als Technik 'vaguer Assoziation' (Luhmann) beschreiben kann. Luhmann kommt in seinem Zettelkasten im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zum Gleichgewicht (wie etwa die kontrafaktische Stabilisierung, von der er spricht, eines bräuchte) und zur Mchanik auf die Formulierung 'vague Assoziation'. Luhmann spricht das Wort aus, wie man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Er sagt das so, als sei das nichts. Das heißt, dass er die bisherige Literatur als vague Asssoziation zu dem, was er sucht beschreibt und meint darum suchen zu müssen. Das stimmt schon. Wenn man etwas als Grund seiner Suche betrachtet, dann ist das ein guter Grund, zu suchen. Aber man kann es sicher auch anders sehen, und weil ich nicht ans Nichts glaube, glaube ich, dass vague Assoziation etwas ist, sogar etwas sehr Präzises, sehr Verbindliches und sehr Verbindendes. Vor allem diejenige Bild- und Rechtswissenschaft, an der Warburg zwischen 1896 und 1929 arbeitete, hat dafür entscheidende Arbeiten geliefert.
Luhmanns 'vague Assoziation' betrachte ich in ihrer kulturtechnische Dimension, also als Technik, die assoziiert (Verbindungen und Verbindlichkeiten schafft) und die vague ist. Dafür gibt es schon Begriffe, nämlich verzehren, verschlingen, vagire, fagieren, kreisen, wägen, wogen, wagen: als alle die Techinken, die vague und Vagues oder etwas vogue oder Vogue machen, die Wellen machen. Meine These ist, dass dies die Vorgänge sind, durch die bewegung geht, in der Kehren, Wenden oder Kippen gehen, sogar so, dass darin Subjekt und Objekt der Bewegung mitgehen. Solche Bewegungen müssen weder stabil sein noch stabilisieren, sie können meteorologisch, also unbeständig sein.
Bewegung über Messen: Durch das Deckgemälde von Knoller geht nicht nur Bewegung über Messen, weil es an der Decke einer Messehalle positioniert ist. Das Gemälde macht die Messe und das Messen auch zum Gegenstand, es hat die Messen und das Messen zum Gegenstand. Ob das Gemälde das reflexiv hat, ist nicht sicher. Denn das Objekt ist ja Teil einer Messehalle, es ist ja Teil der Messe, muss zur Messe also nicht im Verhältnis von Objekt und Subjekt, Form und Inhalt oder Gegenstand und Geist stehen. Es kann auch schlicht im Verhältnis Form zu Form die Messe zum Gegenstand haben oder machen. Rekursiv wird das Verhältnis dann sein, reflexiv muss es nicht sein.
Das Gemälde macht die Messe/ das Messen zum Gegenstand, unter anderem als Missio(n), also unter anderem als (Be-)Kehrung. Das Gemälde macht auch die Polarität zum Gegenstand, weil es ein Polobjet ist, nicht weil es darüber nachdenkt, was Polarität bedeutet, welchen Sinn sie macht und welchen Inhalt sie hat. Sie hat vermutlich gar keinen Halt, auch keinen drinnen, auch keinen Inhalt. Durch sie geht Bewegung, die meteorologisch sein kann.
Ein Objekt, durch das Bewegung gehen soll, nur gehen soll, aber nicht gehen muss, das ist ein unsicheres Objekt, aber ein normatives Objekt und ein Objekt, dessen Material wie ein Gerücht ist. Die Leute unterscheiden die ' Konjunktivität' von der Normativität, aber nicht alle tun es, Bachofen, Luhmann, Möllers und ich (Kicher! was Direktor Futsch wohl dazu sagt) tun das auch, aber nicht groß.
Warburg, wie Benjamin, interessiert sich dafür. Warburg als Polarforscher und Kreditberater, Benjamin als jemand, der an einer Praxis forscht, die er in einer Randbemerkung zu seinen geschichtsphilosophischen Thesen magisch und mantisch nennt. In Wirklichkeit haben sich Warburg und Benjamin nicht getroffen, obwohl Benjamin die Initiative ergriff. Sie haben sich aber an Texten, Tabellen, an skalierbaren Tafeln, unter anderem an den Arbeiten von Franz Boll getroffen.